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Allgemein Zwischengedanken

Wohin Apple geht. Gehst du mit?

Apple möchte, dass wir uns entscheiden: Endgültig in den Walled Garden – oder braucht es etwas Bewegungsfreiheit, um arbeiten zu können. You decide.

Was ist eigentlich ein „Mac“?

Verglichen mit anderen Computern hat Apple mit dem Macintosh stets etwas versucht, was die Konkurrenz nicht wollte – und sicher auch nicht konnte: Nutzbarkeit durch Bedienbarkeit herstellen. Apple wollte erklärtermaßen Computer für Anwender, nicht Techniker, bauen.

Der Anwender sollte von der Tiefenkenntnis über die Innereien des Rechners entlastet werden und sich verzögerungsfrei seinen Problemlösungen zuwenden können. Über die folgenden Jahre wurde aus dem Mac ein ziemlich professionelles Arbeitsmittel. Offenbar, aus Perspektive von Apple, zu Lasten der massentauglichen Bedienbarkeit.

Das scheint der Hauptgrund zu sein, weshalb Apple seit einigen Jahren versucht, den Mac aus Perspektive des Anwenders wieder „einfacher“ zu machen. Die zugrundeliegende Technik wird entweder zugekleistert oder Einstellungsmöglichkeiten gleich ganz aus dem Zugriff des Frontend-Benutzers entfernt. Die zwischenzeitliche Öffnung für Innovationen aus der IT-Branche wurde dabei offenkundig als Irrweg identifiziert, der das Gesamtsystem aus Anwendersicht zu kompliziert werden lässt.

Und so schreitet das auf der WWDC-Keynote 2020 angekündigte macOS 11 „Big Sur“ beherzt weiter in Richtung Vereinfachung voran – und verschmilzt immer stärker iOS-Bedienlogiken mit dem Desktop. Bislang allerdings ohne Touchbedienung. Was bedeutet das?

macOS 11

In der Keynote wird ein supersimplifziertes User Interface präsentiert. Schaut man sich das etwas genauer an, fällt auf: Apple erschwert die schnelle Erfassung von Bedienkontexten. Das mag dem ungeschulten Anwender als hilfreich erscheinen; für Profis überschreitet Apple an diesem Punkt allerdings die magische rote Linie zur Unbenutzbarkeit. Denn professionelle Anwender werden mittlerweile soweit an den Rand des „Walled Gardens“ gedrückt, dass sie nun die letzten Mauernischen suchen und an vielen Stellen den Putz abschlagen müssen, um die Schönheit der Anlage noch genießen zu können. Sie sollen zwar den Rasen pflegen – dürfen ihn dazu aber nicht betreten.

Dass viele Knöpfe, Funktionen und Bedienelemente für den unerfahrenen Anwender ein Hindernis darstellen ist klar. Doch diese Elemente vollständig zu entfernen, macht aus dem Mac leider ein Spielzeug. Anschließend zudem die Attraktivität der Plattform für Entwickler einzuschränken und ihnen auch noch beträchtliche technische Hürden zu errichten, damit sie für die Plattform entwickeln „dürfen“ bedeutet faktisch ein aktives Vertreiben professioneller Anwender aus dem Garten. Ohne Not.

Apple könnte sich durchaus entscheiden, einen „Profi“-Schalter in macOS einzubauen, der Intensiv-Anwendern und Entwicklern größere Freiheiten einräumt und deren UI/UX auf ein für diesen Nutzerkreis sinnvolles Maß bringt – denn die brauchen keine bierdeckelgroßen Dialoge, in denen nur „OK“ steht. Dass Apple den entmündigenden Weg seit X.13, X.14, X.15 immer aggressiver einschlug, konnte man zur Kenntnis nehmen – verstand es aber nicht wirklich.

Mit der Ankündigung, auch auf Seite der Hardware den „Industriestandard“ wieder zu verlassen und sich eigener, restriktiv abgeschlossener Hardware zuzuwenden, wird es allerdings verständlicher: Der Macintosh soll, stärker als jemals zuvor, eine geschlossene, und nur visuell einfach zu bedienende Plattform für Anwender ohne tiefer gehende Ambitionen werden.

Hardware

Auf ARM-basierten Rechnern kann keine Intel-Software virtualisiert werden. Schließt Apple diese Lücke nicht noch mit einem geeigneten Kunstgriff, wird man auf Macs künftig gar nicht – oder nur unter größten Schmerzen (wie früher auf PPC-Macs) – mit Windows arbeiten können. Ältere Menschen erinnern sich; die Verkäufe von Macs konnten in den letzten Jahren auf eine breitere Basis kommen, weil selbst Anwenderkreise, die gar nicht mit macOS arbeiten wollten, Macs kauften – und sie nativ unter Windows betrieben.

Im professionellen Bereich steht allerdings noch viel Problematischeres im Raum, worüber Apple sich bisher noch nicht geäußert hat: Im Moment bietet „Apple Silicon“ keine Hardwareunterstützung für leistungsfähige Bussysteme wie PCIe/Thunderbolt. Doch das ist die Basis für komplexe Desktopsysteme, die große Datenmengen abwickeln müssen. Apple wird die kommenden zwei Jahre nutzen, um diese Anbindungen herzustellen; man munkelt, dass das auf Basis von USB4 geschehen soll. Mein Portemonnaie windet sich jetzt schon in Schmerzen über die zu erwartenden Kabel- und Adapterpreise.

Die Bus-Thematik ist verzahnt mit einer weiteren Problematik: Apple lehnt die Anbindung spezialisierter GPU-Lösungen ab – und will eigene Lösungen bauen. Grafikhardware soll sich an Apples Eigenentwicklung „Metal“ anbinden. Das hat bisher nicht sonderlich gut funktioniert, es wird im OpenSource-Bereich weitgehend abgelehnt und führt somit dazu, dass Apple hier sicherlich den Anschluss an innovative Entwicklungen verlieren wird, weil sie sich auf ihre eigene Technik konzentrieren müssen. Da heute viele hochspezialisierte Berechnungen auf „Grafikkarten“ laufen, ist das eine bemerkenswert abschottend wirkende Entscheidung.

Für den einfachen Anwender liegt der Nutzen in einem weniger komplexen System, das zudem thermische Vorteile gegenüber einem konventionellen Aufbau mit getrennten Einheiten für CPU/GPU hat. Er wird nicht darauf angewiesen sein, dass bestimmte Tools und Protokolle eingesetzt werden können. Für den Profi sehe ich hier eine massive Einschränkung seiner Handlungsfähigkeit.

Ich gehe davon aus, dass das bislang fehlende Bus-System einer der Hauptgründe war, weshalb Apple jetzt mit dem Architekturschwenk in die Öffentlichkeit gegangen ist; denn belastbare Bandbreite außerhalb des Prozessors liefern aktuell nur die wenigsten ARM-basierten Systeme. So kann Apple freier an Lösungen arbeiten; in einer Welt, die sich nicht durch Apple-NDAs knechten lässt. Von der reinen Rechenleistung her mache ich mir keine Sorgen – 80 Kerne mit 3 GHz bei hoher Effizienz – das kickt jeden Xeon aus dem Wettbewerb. Aber gilt halt nur für von Apple kuratierte Software.

Welcher Softwareanbieter lässt sich darauf ein? Können die mit macOS so viel Geld verdienen, dass sie diesen ressourcenfressenden Sonderweg mittragen? Schon wieder eine Neuentwicklung weil Apple einen sehr besonderen Weg mit seiner Hardware und seinem Betriebssystem einschlägt? Können sie den hohen Aufwand jemals wieder amortisieren?

Software

Entwickler von spezialisierter – und insbesondere Hardware-naher – Software stehen vor dem Aus. Da es perspektivisch keine Kernel Extensions mehr geben darf, da der Anwender die elementare Konfiguration des Betriebssystems nicht mehr dauerhaft verändern darf (zumindest ohne tiefe Kenntnis der Eingeweide von macOS), ist macOS künftig nicht mehr wirklich als konventionelles Betriebssystem zu betrachten. Es wirkt eher wie ein iPadOS PRO. Der sich daraus ergebende Nutzen für den Basisconsumer ist Sicherheit und Stabilität – für den Profi entfällt der Zugriff auf Sonderlösungen und damit Flexibilität. macOS stellt ihm nicht viel mehr als ein etwas kontaktfreudigeres iOS zur Verfügung.

Damit steht die Frage im Raum: Warum sollte sich ein Entwickler diesen Schmerz antun?

Fazit

Die Mauern des Walled Gardens von Apple werden immer höher. Apple glaubt offenbar, dass das notwendig und hilfreich ist. Aus Sicht von Apple sprechen viele Gründe dafür; aus Sicht des Apple-freundlichen Anwenders beruhigen Stabilität und Sicherheit.

Doch für den professionellen Anwender kippt die Situation nun mit dem ARM/11 Schritt: Höher werdende Mauern bedeuten, dass intensiver nach einem Ausgang gesucht wird. Da Apple das Rauszukommen schon seit geraumer Zeit ungebührlich erschwert hat, wird die Luft langsam dünn. Offenbar muss man als Profi fürchten, den Garten in naher Zukunft gar nicht mehr verlassen zu dürfen.

Für den technisch wenig ambitionierten Anwender ist ARM/11 sicher ein Gewinn. Zumindest wenn er bereit ist, Apple als verwaltenden Herren seine Daten anzuerkennen und dem Unternehmen umfassend zu vertrauen; denn seine Fotos, Daten und Kontakte aus dem Walled Garden wieder herauszubekommen ist über die Jahre immer schwieriger geworden. Probieren Sie es mal; beispielsweise Kontakte für Fremdsysteme tauglich zu exportieren – oder originale Fotos mit allen Metadaten (!) auf einen Rechner zu bekommen, der nicht von Apple ist. Jeder, der abseits der von Apple vorgedachten Wege Daten bearbeiten und bewegen muss, wird mit ARM/11 ein unangenehmes Problem haben.

Für den Profi, der sein Arbeitsmittel kennt und stets Lösungen mit Risiken abwägen kann und muss bedeutet ARM/11 den ersten Schritt in einen finsteren Tunnel. Ohne erkennbares Licht am Ende.

Schön ist: Entwickler können sich nun entscheiden, ob sie durch den Tunnel in den geschlossenen Garten der ARM/11-Welt eintreten wollen. Oder ob sie sich lieber offeneren und durchlässigeren Plattformen zuwenden. Diese Erkenntnis hat uns die Keynote immerhin beschwert.

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