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Scheiß IT

Wer Scheiß-IT sagt, sollte wissen, wovon er spricht.

Manchmal schenke ich mir ein Gläschen Eierlikör ein und lasse den Blick in die Ferne schweifen. Dann denke ich zurück an jene selige Zeit, als Telefone noch 60 Volt Speisespannung hatten, Strom in Autos nur für den Zündfunken benötigt wurde und Computer bestenfalls etwas waren, worauf ich Listings aus dem C64-Magazin abtippte und anschließend, per Zeilenchecksumme, auf den Fernseher blinzelnd meine Tippfehler suchte. Netzwerke waren etwas, was Spinnen und merkwürdige Amerikaner bauten. Die Sommer waren warm, die Winter kalt und die Musik gut.

Seither sind 30 Jahre vergangen. Vermutlich ist deswegen heute alles: Scheiß-IT.

Was die Sache so schwierig macht ist, dass der größte Teil der Bevölkerung gar keine Lust hat, sich damit zu befassen, was sich in den vergangenen 30 Jahren auf Seite der Technologie alles verändert hat – geschweige denn gewillt ist, das eigene Verhalten – oder Wissen – an diese Veränderungen anzupassen. Nur; wenn man nicht einmal die Grundprinzipien der Funktion einer Gerätschaft, die wir gemeinhin als „Telefon“ bezeichnen, noch mit dem übereinstimmen, was vor 30 Jahren einmal war – dann ist es überaus anstrengend, eine problemlösende Diskussion über die tatsächliche oder vermeintliche Nichtfunktion des Dinges zu führen, das man sich ans Ohr hält um darüber mit einer ortsfernen Personen zu sprechen.

Weil das Telefon ein nettes Beispiel ist, reite ich da weiter drauf rum. Vor 30 Jahren, also um 1989 herum, hatte man ein brokatbesticktes Wählscheibentelefon im Flur stehen. Wenn man Glück hatte, steckte es mit einem ADoS4-Stecker in einer Wanddose. Wenn nicht, verschwand das Kabel direkt in der Wand. Für immer. Während es hübsch herumstand, wummerten 60 Volt Gleichstrom an das Telefon heran. Dafür hatte man die Kernkraftwerke gebaut. Am anderen Ende des hochwertigen Kupferkabels befand sich ein ebenso fester Anschluss in einer örtlichen Vermittlungsstelle der Bundespost. Wollte jemand mein Brokattelefon anrufen, ratterten in diversen dieser Vermittlungsstellen dutzende und hunderte kleiner Stromärmchen solange herum, bis das Wandkabel des fernen Anschlusses eine echte, physische, elektrische Verbindung zu meinem Ohr hergestellt hatte. Die 60 Volt begannen eine schicke Glocke in meinem Brokatofon klingeln zu lassen. Geschwind eilte ich den Flur und nahm den Hörer in die Hand. Man konnte wahrlich miteinander sprechen. Pure Magie.

Nichts von dem gibt es noch. Es gibt weder diese Telefone, noch die dazwischenliegenden Vermittlungsstellen. Nicht einmal die Deutsche Bundespost gibt es noch. Aber wie Telefonieren wir dann?

Übrig geblieben sind die lustigen Kupferdrähte in der Wand. Die sind allerdings nicht mehr mit einem tonnenschweren Schrank bei der Post verbunden, sondern mit dem Schaltkasten an der nächsten Straßenecke. Dieser Kasten muss keine 60 Volt mehr an mein Brokatophon liefern – daher kann ich heute nicht mehr, wenn der Strom mal ausgefallen ist, trotzdem die Polizei anrufen wenn ein Rudel Panzerknacker gerade einbrechen will. Das geht nur noch per Mobilfunk; wenn der noch erreichbar ist und ich meinen zusätzlichen Vertrag bezahlt habe.

So funktionierte ein Telefonat im letzten Jahrtausend mechanisch. Aber das Telefonieren hat sich auch auf einer anderen Ebene verändert. Denn nun reiten keine Elektrowellen mehr auf einer direkten Kupferverbindung zwischen Mikrofon und Lautsprecher hin und her.

Heute wird das Gesprochene im „Telefon“ digitalisiert, in kleine Digitalwürfelchen gehackt und über eine Netzwerkverbindung transportiert. Die Würfelchen wandern, einzeln, in kleinen – für sich genommen sinnlosen – Häppchen zwischen Telefon, Router, Vermittlungspunkt, Internet und diversen möglichen Abnehmern herum. Diese möglichen Abnehmer schauen bei jedem Würfelchen nach, ob es für sie selbst gedacht ist. Wenn nicht, ignorieren sie es. Wenn doch, sammeln sie die Würfelchen auf und versuchen, daraus wieder etwas zusammenzubauen, was man anschließend in eine analoge Wellenform für einen Lautsprecher verwandeln kann. Denn, Scheißevolution, wir hören noch immer analog – und nicht „digital“.

Der Übergang von einer direkten elektromechanischen Verbindung zwischen beiden Gesprächspartnern zum digitalisierten Zerhacken und Wiederzusammensetzen eines Telefongesprächs sollte bereits veranschaulichen, dass heutzutage deutlich komplexere Systeme zusammenarbeiten müssen, damit wir ein Telefonat führen können: Manchmal gehen Würfelchen verloren. Manchmal verpeilen Empfänger, dass sie gemeint sind und reagieren nicht auf „ihre“ Würfelchen. Manchmal geht beim Zerwürfeln oder Zusammensetzen etwas schief. Zumal alle Würfelchen über das gleiche Internet verschoben werden; die Würfelchen fürs Telefon genauso wie die fürs Shoppen, die von Videos und die mit den Bankaufträgen. Zu Wählscheibenzeiten wurde auf dem Telefonnetz nur Sprache transportiert. Und Fernschreiben.

Eine Vielzahl von Dingen, die in der IT heute möglichst reibungsfrei organisiert werden müssen, haben mit dem korrekten Handling von Digitalwürfelchen zu tun. Die wenigsten Computer (dazu gehören Tischgeräte, Fernseher, Smartphones, Server, Türöffner, Autos und das WLAN) sind ihren Strom noch wert, wenn bei der Würfelverschiebung was klemmt. Und klemmt da was, muss die IT herausfinden, an welcher Stelle der Würfelstrom stockt oder warum ein Würfelverarbeiter nicht auf „seine“ Würfel reagiert. Denn: Sehr oft befindet sich die Problemstelle eben nicht in der Nähe des Geräts, das gerade für SIE nicht funktioniert. Es mag nur sein, dass Sie es an Ihrem Gerät vielleicht als erster bemerkt haben.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Wenn ein zur Hilfe gerufener IT-Mensch Sie fragt, was zuvor passiert ist und was genau zum gegenwärtigen Zustand geführt hat; wenn dieser Mensch fragt, welche anderen Geräte/Programme Sie gerade im Umfeld des Problems benutzt haben – dann geben Sie bitte eine durchdachte und neutrale Antwort. Der IT-Mensch erwartet von Ihnen keine Lösung des Problems und er will auch kein „Schuldanerkenntnis“ aus Ihnen herauspressen; er will nur das Problem lösen. Dazu muss er es aber erstmal verstehen. Wenn Sie Ihr Problem nicht erklären können, kann der IT-Mensch auch keine Lösung dafür finden. Denn dann kann er es nicht nachvollziehen und keine Logik dahinter erkennen.

Das nennen Sie dann: Scheiß-IT.
Und jetzt ist die Flasche mit dem Eierlikör leer.

Bildquelle: www.waehlscheibentelefon.info

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