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Testflyer XPress – Krieg der Welten – 3/6

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Wenn mehr immer weniger wird

Als ich 1994 in die Printmedien-Branche einstieg, war ich froh, endlich an einem Mac mit XPress sitzen zu dürfen. Denn beides hatte ich mir in Studententagen nicht leisten können; eigentlich sogar: weder den Mac noch XPress. Während ich also strahlend meinen Arbeitsplatz eroberte, sahen meine Chefs das weniger gut gelaunt. Denn sie durften gerade viele tausend Mark in Richtung Quark transportieren, damit aus dem nach ihrer Aussage unbenutzbaren XPress 3.1 ein hoffentlich wieder einsetzbares XPress 3.2 wurde. Hätte es damals bereits eine echte Alternative gegeben, wären sie anlässlich dieser Update-Ausgaben sicherlich auf ein anderes System gewechselt. Aber die einzige Alternative war Pagemaker. Und das war sehr tranig zu bedienen.

In den Jahren von 1994 bis ca. 2000 habe ich fast ausschließlich mit XPress-Versionen gearbeitet; beginnend von 3.1 bis, aktiv, etwa zu Version 5. Version 5 hatte endlich keinen Dongle mehr. Das habe ich eigentlich nur noch schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Denn InDesign hatte weder den noch brauchte es irgendwelche Zusätze, um gescheite PDFs zu schreiben. Dennoch habe mir stets eine aktuelle Quark-Version auf dem Rechner gehalten. Man weiß ja nie. Aber ich habe nie wieder damit gearbeitet. Und weil es so ist, wollte ich dringend ausprobieren, wo Quark heute steht …

Nach der Installation von XPress 9.2 auf meinem Mac mit OSX.7.3 sah ich erst einmal nichts. Denn XPress hatte einen Bug, bei dem die Werkzeug-Icons nicht angezeigt wurden. Leere Paletten. Also wartete ich auf das Update; jetzt funktioniert es … meistens. Manchmal muss man XPress nochmal in den Hintergrund schicken, damit die Icons wieder auftauchen.

XPress hatte für mich immer genau zwei große Stärken: es war SCHNELL und es hat in der Oberfläche nicht mit überflüssigen Optionen genervt. Die Paletten waren sehr kompakt und – insbesondere über Tastenkürzel – ausgesprochen flott zu bedienen. Kurz: für den Schnell- und Vielsetzer ein nahezu ideales Programm, das die Arbeit des Bedieners ins Zentrum stellt.

Hands-on

Screenshot Flyer in XPress
Bearbeitung des Testflyers in Quark XPress

Doch hier hat Quark stagniert. Wenn man XPress startet, findet man funktional fast die gleiche Umgebung vor wie vor zehn Jahren. Nur ist das alles gekapselt und aufgebläht in irgendwelchen grauen Monsterpaletten ohne Mehrwert. Nein, das ist kein Fortschritt. Was die Geschwindigkeit angeht, hat sich das Bild normalisiert. Andere lassen Text heute ebenfalls flott in Rahmen laufen. Gleichzeitig sind die graphischen Anforderungen gestiegen – und hier versagt XPress heute leider auf ganzer Linie:

Unfassbarerweise ist es auch in Version 9.2.1 noch immer so, dass die Bildschirmanzeige wie auf meiner Quadra von 1993 wirkt. Es ist keine visuelle Beurteilung des Layouts am Bildschirm möglich, weil man auf Pixelwüsten starrt. Man kann zwar, wie schon 1998, eine „hochauflösende Anzeige“ aktivieren – doch das bringt nicht wirklich etwas. Immerhin kann man heute bis 800% zoomen – aber das hilft nicht, weil pixelbasierte Inhalte nicht sauber angezeigt werden.

Das gesamte Bedienkonzept von XPress entspricht weiter dem Stand von Quark 4 oder 5. Nur hat die Software heute sehr viel mehr Funktionen als damals. Es klemmt und knarrt an allen Ecken und Enden. Ich vermute, ich komme nur deshalb für die klassische DTP-Arbeit noch halbwegs damit zurecht, weil sich allerlei Dialoge und Tastenkürzel in meinem Unterbewusstsein eingebrannt haben und ich nicht mehr danach suchen muss. Diese Funktionen sind auch alle noch da. Leider ist in diesem Bereich so gut wie nichts dazugekommen. Man fühlt sich, von InDesign kommend, wie ein Kunsthandwerker, dem man seine Werkzeuge für feine Ziselierarbeiten abgenommen und dann Hammer und Meißel in die Hand gedrückt hat. Das ist sehr ernüchternd.

Aber gut; ich wollte es genauer wissen und setzte mich frohen Mutes an den Rechner und richtete zunächst das Farbmanagement entlang der mehr als dankenswerten Infos von Georg Obermayr ein: http://www.georgobermayr.de/category/quarkxpress/best-practices Das ist schon ein ungewöhnlich zäher und langwieriger Prozess. Zumal nach der Installation nicht – wie bei allen anderen Programmen – halbwegs aktuelle und ungefährliche Grundeinstellungen vorgefunden werden, sondern irgendwelche generischen Quark-Profile hinterlegt sind. Wird mit denen weitergearbeitet, kann man sich über eine Reihe von anachronistischen Problemen bei der PDF-Erzeugung freuen. Nehmen Sie sich bitte die Zeit und richten das Farbmanagement nach Herrn Obermayrs Infos ein! Liefern Sie keine Druckdaten aus XPress ohne das getan zu haben! Der Aufwand und die Fehlerquellen sind beträchtlich; aber rund um Quark herum ist die Zeit nicht stehen geblieben – und Sie wollen mit Ihren Daten bei den Produzenten vermutlich nicht als Lachnummer herhalten, oder?

Im Anschluss habe ich begonnen, mein InDesign-Layout in XPress nachzustellen. Das war wie ein Zeitsprung ins letzte Jahrtausend; es sind wirklich keinerlei Bearbeitungsfunktionen hinzugekommen. Insbesondere die Abwesenheit einer Möglichkeit, den Haltepunkt eines Objekts festzulegen, hat mich viel Zeit gekostet. Denn so musste ich mich immer an der linken oberen Ecke eines Objekts orientieren. Das bin ich nicht mehr gewohnt. Und alle anderen getesteten Programme können es besser, sind flexibler.

Bei der Plazierung der Programm-Icons auf dem Titel des Flyers wurde ich abermals in das letzte Jahrtausend gebeamt: XPress will weiterhin nicht, dass Images kleiner als mit 10% der Originalgröße plaziert werden. Da ich keine Lust hatte, die Icons nur aus diesem Grund in Photoshop zu skalieren, oder den guten alten Gruppierungstrick anzuwenden, sind sie auf dem Quark-Flyer eben etwas größer. Auch mittlerweile einzigartig: alle Programme lassen die Mehrfachauswahl von Objekten beim Importvorgang zu; nur XPress nicht.

Als nächstes ist mir aufgefallen, dass die mit Quark 7 hinzugekommene Schattenfunktionalität nicht viel mehr kann als genau das: Schatten. Auch das ist schwer zu ertragen, wenn man all die Transparenzfunktionen von InDesign kennt und hin und wieder nutzt. Dabei geht es meist nicht um irgendwelche eindrucksvollen Effekte, sondern man möchte Dinge elegant verschwinden oder auftauchen lassen. Diese Eleganz kann XPress wegen fehlender Mittel nicht bieten. Damit ergibt sich ein erkennbar „stumpferes“ Layout.

Zu meinem Fast-Genickbrecher wurde die Arbeit mit den komplexen Textboxen auf der Außenseite des Flyers, weil nahezu alle Tools fehlten, um hier effektiv aufbauen zu können. Und das auch noch mit fixer Haltepunkt-Definition links oben …

Als ich alles fertig hatte und mein PDF als gedruckter Flyer aus der Online-Druckerei ankam bemerkte ich, dass mir in all dem proprietären und komplexen XPress-Farbmanagement ein kleiner aber bedeutsamer Fehler unterlaufen ist; ich hatte beim PDF-Export nicht meine sRGB-ISOCv2-Settings hinterlegt – und bekam als Strafe wunderschön gelbrote RGB-Bilder gedruckt, weil Quark irgendwelchen Mist in seinen generischen Profilen hinterlegt. Also habe ich nochmal bestellt und zuvor meine PDF etwas genauer auf die Farbkonvertierung der RGB-Inhalte geprüft. Herrje, was für ein Krampf.

XPress ist das einzige Programm aus dem Testumfeld, das auch im Jahr 2012 nur einfachste lineare Verläufe anbietet. Leider war es hier also nicht möglich, die Endpunkte der Grauverläufe unter den Bildern innen um jeweils 3% nach innen zu ziehen um den Beschnitt auszugleichen.

Als ich schließlich den Freisteller importierte und versuchte, den eingebetteten Pfad für den Textumfluss zu nutzen, konnte XPress wenigstens an dieser Stelle punkten: der Pfad wird erkannt und kann zuverlässig für den Umfluss genutzt werden. Das kann sonst nur InDesign zuverlässig. Sehr schön!

Der letzte Sprung in die Vergangenheit lieferte mir der Ausdruck auf meinem Tintenstrahler. Hier zeigt sich die ganze fatale Lage verdichtet in einem Wort: PostScript. Quark geht noch immer davon aus, dass nur PostScript-Geräte Drucklayouts ausgeben sollten. Das Ergebnis: merkwürdige Farben, Bilder in Bildschirmauflösung, unvollständige Vektorlogos. Hallo Quark; PostScript wurde vor Jahren abgekündigt. Nur mal so.

Immerhin ist der „Rahmen-Killer-Roboter“ noch da. Das ist konsequent.

Die PDFs, wenn man sie richtig erzeugt, sind in Ordnung und druckfähig:

Testflyer XPress S.1
Die Außenseiten des Testflyers in XPress
Testflyer XPress Innenseiten
Die Innenseiten des Testflyers in XPress

Leider ließ sich sich die markante Farbstichigkeit der RGB-CMYK-Umsetzungen auch durch das beim PDF-Export korrigierte Farbmanagement nicht vollständig einfangen. Während der erste Flyer mit falschen Einstellungen zu einer deutlichen Verschiebung nach Gelb neigt, führt das korrekte Setting zu einem Rotstich, wie ihn auch CorelDRAW und, abgeschwächt, InDesign erzeugen. In der Gegenüberstellung auf dem Foto ist das leider nur unzureichend zu erkennen:

Gegenüberstellung der beiden XPress-Flyer
Unten der Flyer mit korrektem Farbmanagement, oben der mit den Quark Generic Profilen erzeugte Flyer

Mein ärgster Kritikpunkt

Ist eigentlich nur einer: das Programm stagniert in seinen Kernfunktionen in unverantwortlicher Weise seit zehn Jahren. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen.

Fazit

Quark scheint den Schwerpunkt für XPress, insbesondere nachdem das Unternehmen von einem Investor aus dem industriellen Bereich übernommen wurde, auf die automatisierte Printausgabe zu legen. Da die Engines stabil und die Ausgabe vorhersagbar sind, ist die Interessenslage eindeutig: Benutzer werden angehalten, einfachste Layouts zu gestalten, sie gegebenenfalls in Richtung Web, ePub oder App zu drehen und mit diesen Möglichkeiten ihr Dasein zu bestreiten. Innovation findet bei Quark jedenfalls belegbar nicht im Bereich DTP statt; eine für mich emotional bittere Erkenntnis.

In vielen Teilbereichen meines Flyers hätte ich, mit deutlich erhöhtem Aufwand, noch dafür sorgen können, dass er visuell dichter an die InDesign-Version herankommt. Doch das hätte überproportional viel Arbeit bedeutet – und ich möchte die getesteten Programme in ihren effektiv nutzbaren Kernfunktionen zeigen.

Overall

Interface:

+

aufgebläht, zusammengehörige Funktionen verteilt im Programm, nicht sehr intuitiv, noch leidlich kompakt
Performance:

+++

schnell ist es noch immer – bei allen Aktionen
Tools:

+

recht kompakt, viel Zugehöriges aber in Menüs versteckt
Inkjet-Ausdrucke:

unterirdisch – das ist nicht zeitgemäß und unnötig schlecht
PDF-Export:

+

wenn das Farbmanagement korrekt eingerichtet und mit Vorsicht exportiert wird: qualitativ okay; aber: das ist viel zu komplex!
Gesamtwertung:

Achtung, Zeitmaschine! Als Engine für Templates betrachten! TEUER!

Herstellerinfos

http://www.quark.com/de/

Preis

1.399,– Euro

… mehr Leistung für den halben Preis? Weiter zu CorelDRAW!